15
Nov
2009

Glückskind 00:01

Lieber Nikolai,

du liegst gerade auf meiner linken Schulter, ich liege halb aufgerichtet im Bett und so mümmeln wir beide vor uns hin. Es ist gerade 15 Uhr und ich denke über den letzten Monat nach.
Dass Zeit wie im Fluge vergeht, das kenne ich schon eine Weile. Wie sie aber vergehen könnte, wenn man in einer Concorde fliegt, das begreife ich erst jetzt, seit du auf der Welt bist.
Ich denke noch immer viel an deine Geburt, die so überraschend plötzlich geschah, am Tag, als Freundin D. zu Besuch kommen wollte, von weit her, aus meiner alten Heimat.
Immer wieder versuche ich mir die Momente in Erinnerung zu holen, als ich dich das erste Mal sah, als du das erste Mal auf meiner Brust lagst. Sie sind weit weg und doch so nah.
In den ersten Tagen deines Lebens hat sich dein Papa sehr um dich gekümmert, mehr als ich, denn ich hatte noch ein bisschen mit den Schmerzen der Geburt zu kämpfen. Und so habe ich deinen Papa bewundert, wie er dich wickelte, und ich habe euch zugeschaut, wie ihr geschmust habt, wenn du auf Papas Bauch lagst. Ich bin sehr glücklich, nach wie vor, dass dein Papa es trotz der Eile geschafft hat, rechtzeitig zur Geburt im Krankenhaus zu sein und dass er die gesamte Zeit im Krankenhaus bei uns sein konnte. Familienzimmer nennt man das. Das ist etwas Wundervolles.
In den Anfangstagen haben wir uns etwas schwer getan miteinander, du und ich. Ich wollte immer bei dir sein, konnte keinen Schritt von dir weichen, dein Körbchen nicht aus den Augen lassen. Zu groß war die Angst, dass du plötzlich aufhören könntest, zu atmen.
Und du, du pendeltest zwischen zufriedenem Grunzen und Schlummern und lauthalsen Bekundungen, dass dir etwas nicht gefällt oder du etwas brauchst. Oftmals scheine ich genau daneben gegriffen zu haben, denn dein Ärger wurde noch schlimmer, wenn ich das offensichtlich falsche tat. Heute weiß ich fast immer, was du willst und was dir fehlt. Das ist ein wunderbares Gefühl.
Und was die räumliche Trennung angeht: Inzwischen schaffe ich es sogar, mit dem Babyphone um den Hals von deinem Zimmerchen zwei Stockwerke hinunter zum Briefkasten zu gehen, während du in deinem Korb liegst. Manchmal traue ich mich sogar zu den Mülltonnen, dann renne ich allerdings.
Was deinen Hunger anbelangt, so war auch das anfangs eine kleine Hürde für uns beide. Ich möchte dich nach Bedarf stillen, doch den zu erkennen, das ist nicht immer leicht. Denn du schmatzt nicht nur wenn du Hunger hast. Und mit deinen Ärmchen ruderst du auch dann, wenn dir irgendetwas nicht passt, eine volle Windel vielleicht, oder der Wunsch, getragen zu werden.
Wie es kam, dass du nach der ersten Woche, die wir aus dem Krankenhaus wieder zu Hause waren, erst mal 40 Gramm abgenommen hast, das weiß ich nicht. Du hast viel getrunken, aber auch viel geweint und geschrien. Vielleicht hast du meine Aufregung gespürt, die dich selbst aufgeregt gemacht hat? Oder die Umstellung vom routinierten Krankenhaus-Alltag zu unserem noch etwas planlosen Familien-Alltag hat dir zu sehr zu schaffen gemacht.
Dann aber hast du zugenommen, und zwar so gut, dass unsere Hebamme sehr glücklich und zufrieden ihre Waage wieder eingepackt hat.
Das Schönste aber ist, dass du seit vergangenen Mittwoch sehr zielsicher und bestimmt an die Milchbar findest und dort fleißig trinkst - ohne jede Hilfe. Seit ein paar Tage liegen also diese Stillhütchen, die ich als Notnagel immer dann benutzt habe, wenn du mal wieder zu lange verzweifelt versucht hast, anzudocken, in der Schublade. Das ist sehr schön und lässt uns beiden mehr Zeit und Muse, uns gegenseitig kennen zu lernen. Ich streichle gerne deine zarten Händchen und Fingerchen, deine feinen Zehen und weichen Fußsohlen, wenn du trinkst. Und du, du schaust mich zwischen deinen gierigen Schlucken mit riesengroßen Augen an. Immer dann, wenn ich meine Haare zu einem Zopf gebunden habe, wirkst du ein bisschen irritiert, dann öffne ich den Zopf und du scheinst zufriedener.
Auf dem Wickeltisch sind wir inzwischen ein tolles Team, du und ich. Anfangs hatte ich deinen Papa um seinen souveränen Umgang mit dir und deinem zerbrechlichen kleinen Körper beneidet, inzwischen können wir beide mindestens genauso gut miteinander. Seit dich das schöne Mobile über dem Wickeltisch ablenkt, bist du eigentlich immer ruhig und lässt die An- und Ausziehprozedur wunderbar gelassen über dich ergehen. Inzwischen ziehe ich dir ab und zu auch diese unpraktischen Hose- und Pulli-Sachen an, vor denen mich leider niemand gewarnt hat. Strampler mit Druckknöpfen von Kopf bis Fuß sind einfach viel besser. Einmal am Tag gibt es eine kleine Bein- und Arm- und Bauch-Massage mit Olivenöl, das gefällt dir, dann bist du besonders ruhig und wirkst fast ein bisschen nachdenklich. Oder aber du bekommst es gar nicht mit, weil du so vertieft darin bist, der schwarz-weißen Biene oder der Kuh des Mobiles zuzuschauen.
Seit deiner Geburt schläfst du nachts in unserem Bett, nur tagsüber bist du manchmal für ein paar Stunden in deinem Körbchen oder in einem Tragetuch zum Schlafen. Am liebsten schläfst du auf Papas Brust. Oder auf meiner Schulter, so wie jetzt gerade. In den ersten Tagen warst du beim Schlafen fast atemlos ruhig, seit etwa zwei Wochen machst du nachts immer wieder Geräusche, du quietscht, du krächzt, du gurrst und du knurrst. Vielleicht verarbeitest du die Ereignisse des Tages? Der Kinderarzt wird es uns am Mittwoch hoffentlich sagen können. Jedenfalls sind diese Geräusche, die du manchmal auch tagsüber machst, genauso laut wie dein Rülpsen und deine Pupsen - ich hätte nie geglaubt, dass kleine Babys klingen können wie ausgewachsene Kerls.
Am Mittwoch ist also ein großer Tag, dem ich sehr gespannt entgegen blicke: Kinderarzt-Termin, U3. Ich hoffe, dass wir das pünktlich hinbekommen, denn das Timing, das haben wir noch nicht so gut im Griff. Es ist noch nichts wirklich planbar mit dir, aber ich bin zuversichtlich, dass wir das bald zusammen schaffen werden, so dass die Tage und ihre Abläufe etwas gleichmäßiger werden.
Und nun, nun versuche ich, dich in dein Körbchen zu legen und hoffe, dass du dann noch etwas schläfst, damit ich duschen kann.

Ich liebe dich.

Deine Mama
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